it einem kompakten und strengen Gesamteindruck, dem Zusammenspiel von neun – teilweise extremen – Breiten, einem Variable-First-Ansatz sowie einem Hauch Eleganz haben wir die Anforderungen der digitalen Welt mit einer modernen Vorstellung deutscher Ingenieurskunst gekreuzt. Die DIN-Schrift wird flexibel und entfesselt ein neues Normschrift-Gefühl. Wie schon vor 100 Jahren: 100% Made in Berlin.
Neue DIN
Strenge, Eleganz, extreme Breiten und ein Variable-First-Ansatz
Hinter der Abkürzung DIN wird landläufig die Bezeichung Deutsche Industrienorm vermutet. Diese Bedeutung ist jedoch überholt, die drei Buchstaben stehen für das Deutsche Institut für Normung, welches sich als unabhängige Plattform für Standardisierung versteht.
Vor einem Jahrhundert begannen Ingenieure unter der Leitung von Siemens-Mitarbeiter Ludwig Goller für die damals noch Normenausschuß der deutschen Industrie (NADI) genannte Organisation mit der Normung für die Beschriftung technischer Zeichnungen – 1919 als Schräge Block-, 1938 als Senkrechte Normschrift (DIN 16 und 17).
Neben der Arbeit an diesen Normen floss insbesondere die seit 1905 verfügbare Musterzeichnung einer schmalen Groteskschrift der Königlichen Preußischen Eisenbahnverwaltung in die DIN 1451 „Normschriften – Engschrift, Mittelschrift, Breitschrift“ ein, mit der das Gremium vermutlich 1924 begann und die es 1936 für die Bereiche Technik und Verkehr veröffentlichte.
Kerneigenschaften dieser auf einem groben Gitter basierenden Serifenlosen waren eine schnelle und einfache Reproduzierbarkeit und eine neutrale, auch international funktionierende Leserlichkeit. Aus diesen Anforderungen heraus resultierte eine monolineare Strichstärke, die bis dahin tabu war. Abgesehen von modernistischen Bewegungen wie dem Bauhaus und einigen Blockschriftalphabeten für Schildermaler waren Schriften zu jener Zeit kunstvoll, den individuellen Ausdruck betonend gestaltet und wechselnden Moden unterworfen.
Die konstruierte Schrift der Ingenieure hingegen sollte unabhängig von zukünftigen Trends und technischen Beschränkungen funktionieren. Ihr sachlich-geometrischer Charakter eignete sich ideal für die ihr zugedachten Aufgaben, denn jahrzehntelang war sie öffentlichen Anwendungen vorbehalten: von Straßen-, Orts- und Nummernschilder über Poststempel, technische Zeichnungen und Dokumentationen, Verkehrszeichen und Wegweiser bis hin zu Beschriftungen der Reichs- und Deutschen Bahn.
Zwar adaptierten über 50 Länder die serifenlose Linear-Antiqua für ähnliche Zwecke, dennoch gilt „die DIN“ vielen als offizielle Schrift Deutschlands.
Die DIN 1451 wurde seitdem mehrfach überarbeitet oder ergänzt, zuletzt 2018. Eine Anpassung sticht dabei heraus: 1981 ließ die Bundesanstalt für Straßenwesen die „Autobahn-Schrift“ für die Verwendung im Straßenverkehr überarbeiten. Im Fokus der Arbeit des Frankfurter Schildermachermeisters Adolf Gropp stand eine verbesserte Leserlichkeit für Signalisations- und Displaygrößen. Im Zuge dessen wurde die Laufweite angepasst, die Empfehlung für die Breitschrift entfiel. In der Folge verschwand die weite Variante weitestgehend aus dem westdeutschen Straßenbild.
In der DDR wurde es ab 1978 visuell humanistischer, da man hier nach und nach auf die GIL umstellte, eine modifizierte Gill Sans. Ihre Leserlichkeit ergab sich durch offene, schnell erfassbare Buchstaben und leicht unterscheidbare Ziffern.
Anfang der Achtziger entwickelte der Berliner Schrifthersteller Berthold unter Leitung von Günther Gerhard Lange eine Version der normierten Schrift für den Fotosatz, bevor Linotype und Adobe 1990 für die erste digitale Veröffentlichung als PostScript-Fonts kooperierten – jene zwei in der Norm definierten Versionen Mittel- und Engschrift.
Mit der neuen Verfügbarkeit nahm die grafische Bedeutung der DIN-Schrift Fahrt auf. Mehr und mehr Designerinnen und Designer griffen auf sie aufgrund ihrer schnörkellosen, konstruierten und zeitlosen Ästhetik zurück.
1995 zeichnete Albert-Jan Pool auf Initiative von Erik Spiekermann, der diesen Trend erkannte, für dessen Berliner Label FontFont die Schrift als FF DIN neu, erweiterte sie mit Hilfe von Achaz Reuß auf fünf Gewichte und vergrößerte den Sprach- und Zeichenumfang. Pool gelang es, die Leserlichkeit für Fließtexte zu verbessern, ohne die industrielle Rohheit der Schrift zu opfern. Dazu wendete er sich dezent von der monolinearen Strichstärke ab, zeichnete horizontale Striche dünner und gestaltete die Kurven und deren Übergänge auf Geraden fließender. Einige Zeichen wurden runder, Strich-Enden (Terminals) von Buchstaben wie c oder s endeten diagonal und die x-Höhe stieg mit wachsender Strichstärke. Für individuelle Ausdrucksmöglichkeiten gab es alternative runde Punkte, Mediävalziffern und ein einstöckiges a. Vielen gilt Pools Interpretation noch heute als beste.
Nachdem die FF DIN noch um Kursive und Condensed-Schnitte ergänzt wurde, setzte im neuen Jahrtausend ein regelrechter DIN-Boom ein. Die DIN-Schrift wurde zur typografischen Ikone und prägt in vielen Teilen der Welt bis heute das grafische Gesicht. Nicht nur dass sie für Projekte unterschiedlichster Art eingesetzt wurde, es folgten auch vermehrt schriftgestalterische Interpretationen der Grundform. Mit jeder neuen Variation wurde der Trend befeuert.
Zu den interessantesten Auslegungen zählen die Veröffentlichungen von Parachute (PF Din, 2002, freie Interpretation, umfangreichster Ausbau), Linotype (DIN Next, 2008, weicher Gesamteindruck), Paratype (DIN 2014, 2014), Dharma Type (Compasse, 2014, freie Interpretation), Astype (Vtg Stencil DIN, 2016, Schablonenvariante), Type-Ø-Tones (DINosaur, 2016, angelehnt an senkrechte Normschrift DIN 17), Revolver Type (Dinamit, 2017, angelehnt an Breitschrift), Microsoft (Bahnschrift, 2017; Grandview, 2021, erste Variable-Version, Uniwidth) und Fontsmith (FS Industrie, 2018, freie Interpretation).
Die Geschichte der DIN-Schrift ist eine Geschichte permanenter Überarbeitungen, mit jeder Interpretation wird dem Konzept eine neue Farbe hinzugefügt.
Wir glauben, im Spektrum der DIN-Schrift fehlen noch Farben. Als Berliner Foundry fühlen wir uns berufen, diese Nuancen herauszuarbeiten, um damit ihre Vitalität zu stärken und sie aus ihrer Heimat heraus neu zu denken. Zugleich wollen wir mit ihr die dynamische Antwort auf eine dynamische Welt geben. Angesetzt haben wir dazu bei den originalen Konstruktionen und kreuzten Anforderungen der digitalen Welt mit einer modernen Vorstellung deutscher Ingenieurskunst.
Wie zu Beginn der Berliner Normschriftengeschichte waren kurz zuvor entstandene technische Rahmenbedingungen die entscheidenden Einflussfaktoren für Designentscheidungen. Stand vor 100 Jahren die Reproduzierbarkeit im Vordergrund, heißen diese Faktoren heute Variable-Fonts. Die kontinuierlich an Bedeutung gewinnende Technologie stellten wir ins Zentrum unserer Überlegungen.
Um die Synergien von Design und Technik bestmöglich zu nutzen, arbeiteten die Gestalter Hendrik Weber (Type-Director der Top-Agentur KMS Team) und Andreas Frohloff (freier Type-Director) Hand in Hand mit Fontwerks Font-Engineer Olli Meier, der später ebenfalls Ideen beisteuerte und Designaufgaben übernahm. Die variable Breite (insbesondere der Condensed und der Wide) wurde in vielen Punkten stilbildend. Im Ergebnis erscheint die normale Breite neutraler als bei DINs, die von jener Grundform her gedacht sind.
Als Schwierigkeit entpuppte sich die Beantwortung der Frage, wie weit wir uns von den Vorgaben der Norm entfernen können. Mutige, reizvolle Explorationen, die jedoch den prägnanten Mix aus geometrischer Konstruktion und Offenheit zu verlieren drohten, verwarfen wir. Die Schrift sollte eine DIN bleiben – in all ihrer Schlichtheit und Zeitlosigkeit. Ihre strenge Geometrie und Buchstaben, die wie eine Kette zusammenhängen, identifizierten wir als ihren gestalterischen Schlüssel.
Trotzdem keimte in uns der Wunsch nach einer eleganten Note, Andreas Frohloff hatte die zündende Idee: „Alle senkrechten Rundungen, etwa die Seiten des o, d oder g, sind rund, haben keine Geraden und schwingen leicht.“ Die Bögen fallen zwar nicht ins Auge, geben der Schrift aber den gewünschten Hauch Eleganz. Mit diesen subtilen organischen Formen und einem ausbalanciertem Spacing sehen wir den sachlichen Charakter gewahrt und sind überzeugt, dennoch ein eigenständiges und zukunftsfähiges Design erschaffen zu haben.
Alle senkrechten Rundungen, etwa die Seiten des o, d oder g, sind rund, haben keine Geraden und schwingen leicht.
Das offensichtlichste Alleinstellungsmerkmal der Neuen DIN ist jedoch das stringente Zusammenspiel von neun aufrechten Schnitten (Thin–Black) und neun Breiten (XXCondensed, XCondensed, Condensed, SemiCondensed, Normal, SemiWide, Wide, XWide, XXWide). Die enorme Bandbreite gepaart mit der Flexibilität der Variable-Fonts-Technologie setzt ein durch und durch neues DIN-Gefühl frei, auch weil sich die extremen Breiten zunächst ungewohnt anfühlen. Mit dem ureigenen Ingenieursansatz der DIN 1451 sind sie aber nicht nur konsequent, sie machen auch großen Spaß. In diesen Bereichen die robuste industrielle Anmutung zu bewahren war eine der größten Herausforderungen.
Olli Meier begründet die Entscheidung für neun Breiten so: „Die DIN neu zu denken bedeutet auch, vom Web und responsiven Umgebungen auszugehen und sie derart zu gestalten, dass sie in CSS reibungslos funktioniert“. Deshalb entsprechen die 81 Schnitte jenen, die die CSS-Spezifikation vorgibt (Cascading-Style-Sheets: Sprache zum Gestalten elektronischer Dokumente, z.B. im Web).
Die Spezifikation sieht eine Matrix vor, in welcher die Breiten einer Schrift auf der x-Achse, die Strichstärken auf der y-Achse liegen. Dabei hat der Thin-Schnitt einen Wert von 100, die Regular einen von 400 und die Black von 900. Die normale Breite beträgt 100 Prozent, die der Condensed 75 und der Wide 150 Prozent. Der Schnitt Condensed Thin hat demnach einen Wert von 75 auf der x- und 100 auf der y-Achse. Wechselt man die Breite, bleibt der Strichstärkenwert bei 100. In der statischen Welt nimmt man jedoch häufig einen optischen Ausgleich vor, macht etwa die schmalen Schnitte leichter und die breiten fetter. Die Neue DIN bietet eine 100%ige CSS-Kompatibilität, ganz so, wie es Ludwig Gollers Ingenieure heute vermutlich auch umgesetzt hätten.
Die DIN neu zu denken bedeutet auch, vom Web und responsiven Umgebungen auszugehen und sie derart zu gestalten, dass sie in CSS reibungslos funktioniert.
Subtilere Design-Unterschiede zu ihren Vorgängern kann man im kompakten Gesamteindruck und der klaren Neuinterpretation des Strichverlaufs erkennen, welcher noch ein wenig strenger, normierter auftritt. Bedingt durch die technische Ausrichtung der Körperformen zeichneten wir breite Punzen. Zeichen wie t, f, r und 1 gestalteten wir etwas breiter. 145 Alternativformen für Q, a, u, l, r, 6, 7 und 9, runde Punkte sowie Pfeile, Ziffern in Kreisen und Quadraten runden das variierbare Gesamtbild ab.
Eine Besonderheit stellt die Unterstützung des jüngst von Christoph Koeberlin vorgeschlagenen Standard-Latin-Charactersets dar, welches 100 zusätzliche, bisher aber von Foundries meist ignorierte Sprachen umfasst. Inspiriert von seiner Initiative kann die Neue DIN von 3 Milliarden Menschen – auch jenseits des westlichen Tellerrands – genutzt werden.
Im Dezember 2023 haben wir der Schrift zudem ihr erstes Update verpasst. Damit unterstützt sie schon heute das, wozu deutsche Behörden ab Ende 2024 durch die DIN 91379 aufgefordert sind: ihren internen und den Datenaustausch mit Bürgern und der Wirtschaft auf der Basis einer normativen Teilmenge des lateinischen Unicode-Zeichensatzes durchzuführen. Endlich werden die Namen von Personen (İlkay Gündoğan, Pippi Långstrump, Lech Wałęsa, …) und Firmen (Kärcher, İşbank, Kværner, …) europaweit sicher elektronisch verarbeitet und korrekt geschrieben sein.
Die Vielzahl an Details und die lang ersehnte Flexibiliät der Neuen DIN fügen dem Spektrum der deutschen Normschrift eine vitale Variante hinzu. Sie ist kompakt, streng und glänzt mit einer dezenten Prise Eleganz. Will man im Bild ihres Ursprungs bleiben, ist die Neue DIN dank modernem Zusammenspiels von Design und Technik von der Eisenbahn- und Autobahn-Schrift zur Schrift für die Mobilität der Zukunft geworden – in all ihrer gestalterischen, lokalen und aktivistischen Stringenz.
OFFLINE: Normen: DIN 1451; 1949, 1987, 2018; DIN 16, 1949; DIN 17, 1949; TGL 1451, 1962; TGL 16, 1961; TGL 17, 1961; Jan Middendorp, Erik Spiekermann – Made with FontFont, FontShop International, BIS Publishers 2006; Paul McNeil – The Visual History of Type, Laurence King Publishing Ltd. 2017; Stephen Coles – The Anatomy of Type: A Graphic Guide to 100 Typefaces, Harper Design 2012; Preußische Staatsbahnverwaltung – Dienstvorschrift über Anstrich, Bezeichnung und Nummerung der Wagen, H. G. Hermann, Berlin 1906; Wolfgang Diener – Anstrich und Bezeichnung von Güter- und Dienstwagen, Das äussere Erscheinungsbild deutscher Güterwagen von 1864 bis heute, Verlag Dr. Bernhard Abend 1992; Deutscher Normenausschuß Berlin W 15 – DIN Taschenbuch 2 ‘Zeichnungsnormen’, 1950; Ludwig Goller – DIN Normenheft 5 ‘Groteskschriften DIN 1451’, Deutscher Normenausschuß Berlin W 15, 1949; Jürgen Siebert, Claudia Guminski – 100 beste Schriften, FontShop AG, Berlin 2007; Antje Dohmann – DIN mit Swing (PAGE 10.22), Ebner Media Group GmbH & Co. KG, Hamburg 2022 | ONLINE: din.de, 2022; Yves Peters – FF DIN: Eine FontFont-Erfolgsgeschichte, 2015; Albert-Jan Pool – FF DIN Round – Digitale Blockschrift, Eine Broschüre zur Geschichte runder serifenloser Schriften und zur Entstehung der FF DIN Round. 2010; Dirk Vorwerk – Zwei, die sich getroffen haben, um Charakter zu entwickeln, 2019; Typografie.info – Font-Wiki: Gill Sans von Eric Gill, 2013; Typografie.info – Font-Wiki: DIN 1451 von Ludwig Goller und andere, 2013; Wikipedia: Gill Sans, 2022; Wikipedia: DIN 1451 (Eng), 2022; Wikipedia: DIN 1451 (De), 2022; Wikipedia: Normenliste DIN 1 bis DIN 499, 2022; Wikipedia: FF DIN, 2022; Identifont, 2022; Fontsinuse.com, 2022; Luc Devroye – DIN, 2022; beuth.de, 2022; Microsoft Typography – OS/2 and Windows Metrics Table, 2022; W3Schools – CSS font-stretch Property, 2022
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