Tausend Shaded

Im Schatten liegt die Form

Ein genauer Blick auf die Schriftfamilie ›Tausend Shaded‹ von Christoph Koeberlin und Gabriel Richter: Promo-Artwork

Die schattierte Version von Tausend ist keine nostalgische Spielerei. Sie ist die präzise, digitale Neuinterpretation eines fast vergessenen Effekts – ja einer Stil-Ikone – aus der Frühzeit der serifenlosen Schrift.

Ein Schatten aus der Vergangenheit

Im Sommer 2024 machte der Entwerfer der Tausend, Christoph Koeberlin, seinen Mitstreiter Gabriel Richter auf einen Text von Dan Reynolds zur Geschichte der Akzidenz-Grotesk aufmerksam. Reynolds weist nach, dass die Schattierte Grotesk der Schriftgießerei Bauer & Co. aus dem Jahr 1895 mehr als ein dekorativer Ableger war. Tatsächlich kann sie als der Ursprung jener Form betrachtet werden, aus der die Berthold AG – kurz nach der Übernahme von Bauer – die Akzidenz-Grotesk entwickelte. Reynolds: „Wenn man den Schlagschatten der Buchstaben von Schattierte Grotesk entfernt, ergeben sich eindeutig die Formen der Akzidenz-Grotesk.“

Wenn man den Schlagschatten der Buchstaben von Schattierte Grotesk entfernt, ergeben sich eindeutig die Formen der Akzidenz-Grotesk.

Christophs Reaktion: Neugier, Faszination und eine Idee, die sofort zündete. „Warum nicht die früheste Spielart der Akzidenz-Grotesk wiederbeleben, mit zwei, drei Shaded-Schnitten?“ Die Grundform war bereits da: Tausend, eine zeitgemäße, systematisch entwickelte Grotesk mit einem Hauch Bauhaus. Diese um eine Variante zu bereichern, sollte kein Problem sein.

AG Old Face von Günter Gerhard Lange, ‚H. Berthold AG: Berthold Types‘ 1985 Berthold Berlin & Callwey München
AG Old Face von Günter Gerhard Lange, ›H. Berthold AG: Berthold Types‹ 1985 Berthold Berlin & Callwey München

Anfang der 1980er Jahre beschäftigte sich Günter Gerhard Lange, der künstlerische Leiter der Berthold AG, noch einmal intensiv mit der Original-Akzidenz-Grotesk. Er entwickelte eine Neubearbeitung, die 1984 unter dem Namen AG Old Face erschien und sich – nach Herstellerangaben – stärker an die frühe Akzidenz-Grotesk anlehnte. Sie hatte nur drei Strichstärken, keine Kursive aber dafür den Schnitt AG Old Face Shaded, was erneut die bedeutende Rolle dieser Stilart unterstreicht.

Vom Impuls zur Systematik

Gabriel Richter, der sich selbst augenzwinkernd „alter Systematiker“ nennt, übernahm den Ausbau von Tausend Shaded. Seine Mission: eine konsistente Schattenschrift auf Basis der Tausend – und das über mehrere Strichstärken hinweg. Klingt einfach, war es aber nicht.

Ein genauer Blick auf die Schriftfamilie ›Tausend Shaded‹ von Christoph Koeberlin und Gabriel Richter: Mit dem Kleinbuchstaben ›a‹ von Tausend Black begann Mitte September 2024 die Testphase.
Viel Strichstärke, wenig Platz für Schatten: Mit dem Kleinbuchstaben ›a‹ von Tausend Black begann Mitte September 2024 die Testphase.

Die erste Herausforderung: Mit wachsender Strichstärke schrumpft der Raum für die Schattierung. Wo bei Light noch viel Luft ist, wird es bei Black ganz eng. In einem ersten Test wurde dem Kleinbuchstaben a in Black ein Schatten umgelegt.

„Wie tief, wie weit, wie luftig darf ein Schatten sein im Schriftdesign?“, fragte sich Gabriel und fand für sich die Antwort: Das Auge entscheidet! Die Reaktion von Christoph auf den Erstentwurf: „Sehr schick! Aber ich glaube, wir sollten tendenziell etwas mehr Abstand geben. Und das eigentlich Knifflige wird wohl sein, dass die Linie nirgends die Basis-Outline berührt!“ Tatsächlich wird es noch viel heftiger kommen: Bei kritischen Buchstaben überspringt die Outline ihren eigenen Schatten … nachdem es die beiden Designer zuvor gemacht hatten.

Ein genauer Blick auf die Schriftfamilie ›Tausend Shaded‹ von Christoph Koeberlin und Gabriel Richter: Christoph Koeberlin hatte die Idee, die Schatten-Linie nirgends die Basis-Outline berühren zu lassen.
Getreu der historischen Vorlage sollte die Schatten-Linie harmonische Abstände vorweisen und nirgends die Basis-Outline berühren.
Schattenboxen

In mehreren Testrunden loteten die Designer den idealen Abstand, die Kurvenführung und die Parallelität aus.

Ein genauer Blick auf die Schriftfamilie ›Tausend Shaded‹ von Christoph Koeberlin und Gabriel Richter: Eine wesentliche Designentscheidung war die Form der Schatten. Laufen sie parallel zum Stamm? Verjüngen sie sich? Die Antworten: Nein! Ja!
Eine wesentliche Designentscheidung war die Form der Schatten. Laufen sie parallel zum Stamm? Verjüngen sie sich? Die Antworten: Nein! Ja!

Schnell wurde klar: Ein statisches System funktioniert nicht. Die Lösung: Eine Schattierung, die sich organisch anpasst – je nach Zeichen, Kurven und Strichstärke. Gabriel: „Die Tiefe variiert, wie bei der Ausgangsschrift: Eher manuell als mathematisch.“

Inzwischen genügte ihnen die ursprüngliche Idee von „zwei bis drei Schnitten“ jedoch nicht mehr. Sie hatten sich längst festgebissen an dem Plan, eine komplette Subfamilie zu entwickeln.

Nach einigen Wochen Entwicklung offenbarte der Blick ins Innenleben von Tausend Shaded eine Tüftlerarbeit sondergleichen:

  • Jedes a, e und s musste in allen Schnitten individuell bearbeitet werden.
  • Akzente wurden in den fetteren Schnitten leicht nach oben versetzt, anstatt sie zu stauchen.
Ein genauer Blick auf die Schriftfamilie ›Tausend Shaded‹ von Christoph Koeberlin und Gabriel Richter: Keine Kompromisse … doch! In den fetteren Schnitten sind die Akzente etwas höher gesetzt, anstatt sie zu stauchen.
Keine Kompromisse … doch! In den fetteren Schnitten sind die Akzente etwas höher gesetzt, anstatt sie zu stauchen.
  • Die Schatten laufen nicht einfach nebenher, nein: Sie werden bewusst geführt, geformt, angepasst, verengt und sogar von der Kontur übersprungen.
Ein genauer Blick auf die Schriftfamilie ›Tausend Shaded‹ von Christoph Koeberlin und Gabriel Richter: Vonwegen „der Schatten darf die Kontur nicht berühren“: Tausend Shaded enthält für komplexe Formen raffinierte Schattensprünge … zum Beispiel beim Kleinbuchstaben e ab der Strichstärke Bold.
Vonwegen „der Schatten darf die Kontur nicht berühren“: Tausend Shaded enthält für komplexe Formen raffinierte Schattensprünge … zum Beispiel beim Kleinbuchstaben e ab der Strichstärke Bold.
  • Viele Zeichen – vor allem mit Diakritika – erforderten komplexe, eigene Schattenformen.
Ein genauer Blick auf die Schriftfamilie ›Tausend Shaded‹ von Christoph Koeberlin und Gabriel Richter: Diakritika lassen sich nicht nach Schema F schattieren (links); es bedarf eines individuell gefertigten, verbindenden Schattens (rechts).
Diakritika lassen sich nicht nach Schema F schattieren (links); es bedarf eines individuell gefertigten, verbindenden Schattens (rechts).

Gabriel selbstironisch: „Wie schön, dass herkömmliche Komponenten nicht mehr zusammenpassen.“ Nur ein Beispiel: Der Buchstabe ą ist in der Original-Tausend eine Kombination aus a und ˛ … In der Shaded funktioniert das nicht; hier braucht es einen eigenen, manuell angelegten Übergangsschatten.

Ein Effekt wird Haltung

Tausend Shaded ist keine Gimmick-Schrift. Sie ist ein Statement für handwerkliche Sorgfalt und gegen die algorithmische Beliebigkeit, die viele Display-Schriften seit Jahrzehnten prägt.

Die Schattenform ist nicht das Ergebnis eines geometrischen Filters, sondern individueller Designentscheidungen – für jedes Zeichen in jeder Strichstärke. Alle Übergänge sind gezeichnet, nicht generiert. Jede Kurve ist gedacht, nicht interpoliert.

Ein genauer Blick auf die Schriftfamilie ›Tausend Shaded‹ von Christoph Koeberlin und Gabriel Richter: In Tausend Shaded hat jedes zusammengesetzte Zeichen seinen eigenen Ausnahmeschatten.
Diakritika deluxe: In Tausend Shaded hat jedes zusammengesetzte Zeichen seinen eigenen Ausnahmeschatten.

Die „Schattierte Grotesk“ von 1895 war ein dekorativer Vorläufer der späteren Akzidenz-Grotesk. Tausend Shaded greift diese Idee auf – nicht als Imitation, sondern als rekursive Transformation. Sie trägt den Geist von damals, aber sie denkt ihn weiter.

Tausend Shaded beweist, dass Schatten nicht immer für Verdunkelung steht, sondern das Gegenteil bewirken kann: Er macht sichtbar, was eine Schrift im Innersten zusammenhält.

Das Beste zum Schluss (Danke fürs Zu-Ende-Lesen): Als Basislizenz gibt es die Tausend Shaded kostenlos (1 Desktop-User, 10.000 Web-Pageviews, 10.000 Social-Media-Follower).

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Akzidenz-Grotesk, AG Old Face und Berthold sind eingetragene Warenzeichen von Monotype Imaging Inc.